Prinzipien
Empfehlungen, wie BNE gelehrt und gelernt werden kann, werden durch die didaktischen Prinzipien einer BNE dargelegt und können zudem aus Erkenntnissen kompetenzförderlicher Lernarrangements gewonnen werden.
Zentrale BNE Prinzipien sind Selbstorganisation und Selbstbestimmung.1 BNE rückt zudem mit dem Erwerb von Kompetenzen aktivierende Formen des Lernens in den Fokus. Lernen ist nicht länger der passive Erwerb von präsentiertem Wissen, sondern eine aktive Wissenskonstruktion und -aneignung durch die Lernenden,2 die zudem auch die Arbeit mit unseren Sinnen und Emotionen einschließt.
Grundlegende Prinzipien für die Gestaltung von BNE-Lernumgebungen im Detail:
Prinzip 1: Beteiligung und Teilhabe
Prinzip 2: Handeln
Vom Handeln zum Wissen?
Im Diskurs um die Ausgestaltung guter BNE wird darauf hingewiesen, dass Handlung nicht immer die natürliche Folge des Erwerbs von Wissen, Einstellungen und Werten darstellt. Vielmehr wird angeregt, auch über Handlungserfahrungen selbst Lernprozesse anzuregen und die Losung "vom Wissen zum Handeln" somit absichtsvoll zur Losung "vom Handeln zum Wissen" umzukehren.13
Handeln und Teilhabe fördern Selbstwirksamkeit14
Durch erfolgreiches Handeln wird das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Bereitschaft, sich aktiv einzusetzen, gestärkt. Partizipation, Handlungsorientierung und Selbstwirksamkeit stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Selbswirksamkeitserfahrungen sind wichtige Förderer nachhaltigen Handelns ("Mein Handeln und mein Beitrag haben eine Wirkung!"). Sie entwickelt sich am ehesten, wenn es umfassende Möglichkeiten gibt, sich einzubringen, eigene Handlungsalternativen zu entwickeln und diese dann zu erproben und ihre Wirkungen dann zu bewerten und zu reflektieren. Die Umsetzung von Partizipation als Grundlage für Handlungsorientierung und Selbstwirksamkeit hat sich in formalen Lernumgebungen wie Schulen teilweise als Hürde erwiesen, rüttelt Partizipation doch an tradierten Funktionen der Lehrkraft, Partizipation heißt auch Verzicht auf Macht.15 Eine Mehrheit der Lehrkräfte ist jedoch (noch) nicht bereit, ihre Rolle konsequent und umfassend neu zu definieren, wie bisherige empirische Forschung zeigt. Das Ziel ist eine Lernpartnerschaft, in der die Stoffvermittlung durch die Unterstützung und Moderation hochgradig selbstständiger Lern- und Erprobungsprozesse abgelöst wird, so wie es konstruktivistisch orientierte Lehr-Lernformen zum Ziel haben.16
Prinzip 3: Gemeinschaft
Prinzip 4: Alltagsbezug und Zugänglichkeit
Kontext-Abhängigkeit von Kompetenzen
"Wir wissen nicht – und dürfen nach Lage psychologischer Erkenntnisse nicht optimistisch sein – dass etwa der Erwerb von Kenntnissen über den Raubbau am tropischen Regenwald auch dazu führt, die Kenntnisse in dieser Domäne auf ein anderes Raubbauphänomen, etwa die Überfischung der Kabeljaubestände, übertragen zu können".25
In der Forschung besteht Übereinstimmung, dass Kompetenzen grundsätzlich kontextuiert, also situationsbezogen, erworben werden. Unsere Kompetenzen und auch Wissensbestände sind demnach verbunden mit den Situationen, in denen wir sie erworben haben. Das betrifft auch die Schwierigkeit, Wissen von einem Problemfeld (Domäne) auf andere zu übertragen. Die Übertragungsleistungen sind als gering einzuschätzen, wie die sogenannte „Domänenforschung“ zeigt.26 Dies erschwert gleichsam die Aktivierbarkeit und Übertragbarkeit erworbener Kompetenzen im Alltag. Somit ist es von besonderer Bedeutung, dass Bildungsangebote einen hohen Alltagsbezug für die Lernenden aufweisen, damit Kompetenzen im Alltag aktiviert werden können.
Ein Lehrkonzept, dass dem Umstand der Kontextuiertheit von Wissen und Kompetenzen Rechnung trägt, ist das "situierte Lernen". Beim situierten Lernen wird von Lebenssituationen der Lernenden oder von aus dem Alltag bekannten gesellschaftlichen Problemen ausgegangen. Die Lernenden verarbeiten denkend ihre Lebenswirklichkeit, lernen zu handeln, wenden ihre fachlichen Kenntnisse an und setzen ihre Fähigkeiten ein, können Sinn in ihrem Lernen finden und Motivation für das Weiterlernen entwickeln. Situierte Lernsituationen sind offener, sie werden durch Wochenplan- und Freiarbeit, Planspiele, projektorientierte Bildungsmaßnahmen bzw. Unterricht u.a. strukturiert.27 Beim situierten Lernen hat der Lehrende eine andere Rolle, als beispielsweise der Lehrer im traditionellen Unterricht. Der Lernende steht im Mittelpunkt und der Lehrer hat die Aufgabe, im Werkzeuge zum Lernen zu geben. Der Lehrende soll ein Experte im Fachbereich sein und im Dialog mit dem Schüler, als Coach, an einer komplexen Aufgabenstellung arbeiten. Soziale Interaktion ist von grundlegender Bedeutung in diesem Prozess. Soziale Kontakte dienen als Möglichkeit, Bedeutung des Lerngegenstands auszuhandeln. Kooperatives Lernen, Lerngruppen uns das Lernen mit Experten sind von Bedeutung.28 BNE ist aufgrund der angewandten Methoden beispielgeben für die Konkretisierung des Konzeptes des Situierten Lernens.29
Prinzip 5: Gefühle
Zentrale Bedeutung von Emotionen und Motivationen für Handlungskompetenz
Die Definition von Kompetenzen bedeutet, nicht nur auf den Erwerb von Wissen abzustellen, sondern beim Erwerb Emotionen, Handlungsmotive und -absichten sowie den Willen der Lernenden zu berücksichtigen. Die Bedeutung von Emotionen und von Handlungsmotiven für das Lernen ist unbestritten, 31 findet bisher aber in Bildungsangeboten kaum eine angemessene Berücksichtigung.32
Wie eignen wir uns neue Werte an?33
Da sich Werte nicht einfach vermitteln oder erlernen lassen, sondern aktiv angeeignet und verankert werden müssen, ist damit auch ein anderes Lernen verbunden. Dem Lernen muss es zunächst ermöglicht werden, sein eigenes Wertesystem zu erkennen, zu analysieren und auf Realitätsangemessenheit zu überprüfen. Neue Werte werden in einem Prozess stufenweiser Interiorisation in das bestehende Wertesystem integriert. Für das Verständnis dieser Prozesse der Wertaneignung lässt sich auf eine Reihe pädagogisch-psychologischer Ansätze zurückgreifen, die diese Prozesse beschreiben. Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen emotions- und motivationspsychologischen Ansätze wurde ein vereinfachtes System des Interiorisationsprozesses entwickelt:34 Ausgangspunkt sind hierbei vorhandene gesellschaftliche Werte, die das Individuum kennt, aber noch nicht verinnerlicht hat und die dementsprechend nicht unmittelbar wirksam sind. Das Individuum steht im Alltag fortwährend vor individuellen und sozialen Entscheidungssituationen, die häufig nicht kognitiv, also unter Zuhilfenahme bereits vorhandenen Wissens oder Fertigkeiten, gelöst werden können. Ergeben sich neue, unbekannte Entscheidungssituationen, durch die eine solche Lösung nicht möglich erscheint, entsteht ein „emotionaler Spannungszustand“, der die Voraussetzung jeder Werteinteriorisation darstellt. Durch die Notwendigkeit, Entscheidungen angesichts von Unsicherheiten treffen zu müssen, werden Situationen, Handlungsweisen und vorhandene Wissensbestände reflektiert und bewertet. Werden die daraus resultierenden Handlungen individuell und in der sozialen Kommunikation als erfolgreich angesehen, kommt es zu einer Verankerung der handlungsleitenden Wertung (Werteinteriorisation). Durch die Kommunikation der so entstehenden Werte im sozialen Umfeld (vgl. Prinzip 3: Gemeinschaft) entsteht ein diskursives Normen- und Wertesystem, das, wenn es sich bewährt, immer wieder neu reproduziert wird.
Prinzip 6: Vielfalt an Perspektiven
Die Bedeutung der Zusammenarbeit mit externen Partnern im Rahmen der BNE
Eine zentrale Forderungen der BNE ist die stärkere Öffnung von Bildungseinrichtungen für die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren der Gesellschaft. Neben Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen bieten sich besonders zivilgesellschaftliche Organisationen als Partner an.38
Die Komplexität nachhaltiger Entwicklung erfordert eine Thematisierung in möglichst vielen Lernanlässen und in fachübergreifenden bzw. fächerverbindenden Organisationsformen. Besonders zur Umsetzung der zentralen Prinzipien der Perspektivenvielfalt, der Handlungs- und der Alltagsorientierung bieten sich Kooperationen zwischen Lehreinrichtungen (Schulen, Berufsschulen, Kitas, ...) und zivilgesellschaftlichen Organisationen an. Diese können mit ihren Workshop-Angeboten und der oftmals jahrelangen BNE-Erfahrung einen niedrigschwelligen Einstieg und Unterstützung bieten. Auf diesem Weg kann zum einen das Themenspektrum erweitert werden, zum anderen können auch Kompetenzen gefördert werden, für die es vorrangig im "außerschulischen" Umfeld Lernorte und Lernanlässe gibt. Zudem zeichnen sich zivilgesellschaftliche BNE-Anbieterinnnen häufig u.a. durch eine hohe Fachexpertise, Motivation, Methodenkompetenz sowie ausgesprochene Fähigkeit zur Zielgruppenorientierung aus.39 Vereine und Initiativen sind daher wichtige Kooperationspartner im Rahmen der BNE.40
In der Zusammenarbeit mit externen Partnern eröffnen sich Möglichkeiten, Lernende an neue Themen und Inhalte heranzuführen, ihnen andersartige Bildungserfahrungen zu eröffnen und sie zugleich in lebensweltnahe Ernstsituationen einzubinden.41
Prinzip 7: Zusammenhänge im Fokus
Prinzip 8: Orientierung an Visionen
Praxisbeispiel: Von der Katastrophen- zur Visionsorientierung
Dass Visionsorientierung keine leichte Aufgabe ist, zeigt das Beispiel der Diskussion um nachhaltigen Konsum, die nach wie vor fast ausschließlich von ökologischen Negativ-Szenarien sowie sozialen Krisenthemen der Ausbeutung dominiert wird. Im Sinne einer gestaltenden Modernisierungsperspektive hingegen ist zu fragen, wie neue und proaktive Wege zur Förderung eines nachhaltigen Konsums aussehen können. Es wäre danach zu fragen, wie sich menschliche Bedürfnisse (z.B. nach Identität und sozialer Zugehörigkeit) nicht primär über Konsumgüter (z.B. jährlich ein neues Handy), sondern immateriell (z.B. durch gemeinsame Projekte und Aktivitäten) befriedigen ließen.45 Entsprechend ist auch die Visionsorientierung ein zentrales didaktisches Prinzip, das bei der Gestaltung von Lernangeboten der BNE zu berücksichtigen ist.46
Ableitung von Methoden
Aus den genannten Prinzipien und Empfehlungen für BNE-Lernarrangements lassen sich innovative Methoden ableiten oder auch bekannte Methoden weiterentwickeln. Es gibt eine große Vielzahl möglicher Methodensets, je nachdem, welche Teilkompetenzen erworben werden sollen. Konkrete Beispiele sind Zukunftswerkstatt, Planspiele, künstlerisches Gestalten, Open Space, aktive Projektarbeit, Szenario-Technik, Aufbau von Kooperationen und vieles mehr.
Es gibt eine Vielzahl von Methodensammlungen, auch online. Ein Beispiel für den Schulbereich mit Zuordnung zu den Kompetenzen findet sich hier.
Die genannten Prinzipien und Methodenbeispiele sind wichtige Grundpfeiler guter BNE. Zum Umfeld des Lernprozesses kommen jedoch weitere Faktoren hinzu, die den Kompetenzerwerb entscheidend begünstigen können. Zu nennen ist inbesondere der sogenannte "whole institution approach" der besagt, dass beispielsweise eine Schule nicht nur Nachhaltigkeit lehren, sondern auch vorleben sollte. Die nachhaltige Umgestaltung des Schulalltags (Mensa, Energieversorgung, Beschaffung, ...) unter Mitwirkung der Lernenden hat vielfache kompetenzfördernde Wirkungen.47