Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist der Schlüssel für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Die globalen Herausforderungen lassen sich nicht ohne neue Bildungskultur meistern. Ob im 5-Minuten-Crashkurs oder Expertinnen-Modus, hier erfährst du alles zum Thema BNE.
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Was bringt's?
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Was bringt's?
Handlungsfähigkeit …!
Die Welt wird immer komplexer. BNE ermöglicht uns den Aufbau von Handlungsfähigkeit, die Aneignung sogenannter „Kompetenzen“. BNE-Kompetenzen sind Fähigkeiten, die uns das nachhaltige Handeln im Alltag ermöglichen, auch unter schwierigen Umständen. Folgende 12 Kompetenzen für nachhaltiges Handeln sind besonders wichtig:
Vorausschauend Denken und Handeln: zukünftige Entwicklungen bereits heute bedenken sowie Chancen und Risiken von Entwicklungen thematisieren.
Interdisziplinär arbeiten: Zusammenhänge und die Verbundenheit aller menschlichen Handlungen mit der Natur und globalen Umwelt erkennen.
Umgang mit großen Informationsmengen: Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen können.
Andere Perspektiven einnehmen: Weltweite Herausforderungen müssen gemeinsam gelöst werden. Dafür muss man die Perspektive „der anderen“ erkennen und verstehen können.
Fähigkeit zur Teilhabe: Fähigkeit zur Beteiligung an gesellschaftlichen Entwicklungen.
Fähigkeit zur Kooperation: Gemeinsam mit anderen planen und handeln können.
Umgang mit schwierigen Entscheidungen: Widersprüchliche Ziele und Folgen von Handlungen berücksichtigen und mit der Widersprüchlichkeit konstruktiv umgehen.
Mitfühlend und solidarisch sein: Solidarität vor Ort, aber auch im weltweiten Handeln und Kommunizieren als Grundlage unseres Zusammenlebens.
Motivation aufbauen und weitergeben: Um die Welt zu verändern, braucht man Motivation, aber auch die Fähigkeit, andere Menschen für Veränderung zu motivieren.
Eigene Vorstellungen und Denkweisen hinterfragen: Das eigene Handeln und Denken als kulturell geprägt wahrnehmen und andere Denkweisen erkennen.
Fähigkeit zum moralischen Handeln: Vorstellungen von Gerechtigkeit als Grundlage für das eigene Denken und Handeln nutzen.
Sind alle Teilkompetenzen durch eine Person erworben, besitzt diese Person sogenannte „Gesaltungskompetenz“ im Sinne der BNE.
Ein wichtiger Teilbereich der BNE, der sich auf Themen der Globaliserung fokussiert, ist das sogenannte „Globale Lernen“. Hier erfährst du mehr.
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Was braucht's?
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Was braucht's?
Raum für Selbstentfaltung …!
Um sich BNE-Kompetenzen, zum Beispiel im Rahmen von Workshops oder in der Schule, aneignen zu können, brauchen Lernende bestimmte Umfeldfaktoren. Diese sind insbesondere:
Teilhabe: Die Lernenden gestalten und entscheiden aktiv mit.
Handeln: Lernen durch Körper und Sinne erfahrbar machen.
Gemeinschaft: Austausch und Lernen in Gruppen.
Alltagsbezug: Bezug zum Leben der Menschen nehmen.
Gefühle: Emotionen als wichtiger Motor für Veränderungen nutzen.
Vielfalt: Verschiedene Perspektiven und Meinungen einbeziehen.
Zusammenhänge: Erfahren, dass alles in der Welt miteinander verbunden ist.
Visionen: Den Mut zur Veränderung ins Zentrum stellen.
Sind diese Umfeldfaktoren gegeben, wird es den Lernenden leicht fallen, sich Kompetenzen mit Freude und Interesse anzueignen.
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Die Themen
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Die Themen
Auch wenn es fast unbegrenzt viele Themen gibt: Nicht alle Themen und Inhalte sind gleichermaßen geeignet, die BNE-Kompetenzen zu erwerben. Die Auswahl von Lerninhalten sollte sich an folgenden Kriterien orientieren:
Erfahrbarkeit von Zusammenhängen: … zwischen lokalem Handeln und globalen Wirkungen.
Themen mit langfristiger Bedeutung:… und grundlegende Herausforderungen der Menscheit.
Vielfalt:… des Wissens und Perspektiven sollte sichtbar werden.
Handlungspotenzial:… für den Alltag sollte vorhanden sein („etwas verändern können“).
Das Interesse der Lernenden als Grundlage für Kompetenzerwerb
Von zentraler Bedeutung ist es, sich bei der Themenwahl an den Interessen der Menschen zu orientieren. Ohne Interesse am Thema auch kein Interesse, sich neue Handlungsfähigkeiten für den Alltag anzueignen. Man kann bei fast allen Themen wichtige Verbindungen zur Nachhaltigkeit finden. Sei kreativ und offen bei der Themenwahl und beziehe die Lernenden aktiv mit ein!
Geeignete Themenfelder sind beispielsweise Konsum, Gesundheit, Bauen und Wohnen, Landwirtschaft, Wasser.
Glückwunsch!
Du weißt nun, was BNE ist. Es braucht Menschen, die dieses Bildungskonzept aktiv anwenden, in der Schule,
in Vereinen und Initiativen oder im Alltag, wo auch immer Lernen für eine zukunfts fähige Gesellschaft stattfinden kann. Es ist kein Allheilmittel und nicht perfekt, aber es ist das beste Konzept, was wir aktuell haben.
Los geht‘s!
Warum BNE?
Warum BNE?
Globaler Klimwandel und sozialen Krisen machen eine veränderte Bildung dringend nötig:
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Ohne Lernen, keine Transformation: BNE zielt darauf ab, Menschen zu befähigen, sich an gesellschaftlichen Lern- und Verständigungsprozessen für eine nachhaltige Entwicklung und damit der Förderung einer „Großen Transformation“1 zu beteiligen. Ohne Lernprozesse ist eine nachhaltige Entwicklung nicht möglich.2
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Umsetzung der „Sustainable Development Goals (SDGs): Für die Realisierung der SDGs kommt der BNE eine wichtige Rolle zu. Deswegen hat die UNESCO 2014 ein BNE-Weltaktionsprogramm verabschiedet, das nach Auslaufen der BNE-Weltdekade (2005-2014) zunächst für den Zeitraum 2015-2019 Geltung hat.
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Steigende Anforderungen an demokratische Entscheidungsprozesse: Soziale „Gerechtigkeit oder auch der Klimawandel stellen hohe Anforderungen an demokratische Partizipations- und Entscheidungsprozesse. BNE zeigt vor diesem Hintergrund ein großes Potenzial. Sie vereinigt ökologische, ökonomische und soziale Aspekte, bietet interdisziplinäre Zugänge zu Problemlösungsstrategien, unterstützt mit dem Kernelement Partizipation demokratische Vorgehensweisen und nimmt mit der Gleichzeitigkeit lokaler und globaler Bezüge auch den entscheidenden Aspekt der generationalen Gerechtigkeit in den Blick.3
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Von der Wissensvermittlung zum Kompetenzerwerb: Der Anspruch, dass sich Lernende Kompetenzen aneignen ist kein Alleinstellungsmerkmal der BNE. Seit Jahren wird ganz allgemein an Bildung der Anspruch gerichtet, sie möge die Lernenden dazu befähigen, ein erfolgreichen Leben zu führen und an gesellschaftlichen Entwicklungen teilhaben zu können. Die Orientierung geht weg von rein wissensorientiertem Lernen (Input-Orientierung) hin zur Orientierung am Erwerb von Lebenskompetenzen (Output-Orientierung).4 BNE ist damit in hohem Maße anschlussfähig an die internationale Debatte um Kompetenzen, die infolge der PISA-Studien stattgefunden hat und besitzt übergreifende Bildungsrelevanz, jenseits von der reinen Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsfragen.5
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Nationaler Aktionsplan und BNE-Landesstrategien forcieren Umsetzung in der Praxis: Mittlerweile existieren eine BNE-Bundesstrategie sowie BNE-Strategien der Bundesländer für die Umsetzung der BNE in der Praxis. Damit liegen klare politische Willenserklärungen für die Umsetzung der BNE vor.
BNE ist kein zusätzliches Fach „Nachhaltigkeit“
Der mit dem Bildungskonzept der BNE verbundene Anspruch ist kein geringerer als zu einer „Neuausrichtung der Bildung auf nachhaltige Entwicklung" beizutragen.6 Somit ist BNE kein „zusätzliches Themenfeld“ oder zusätzliches „Schulfach Nachhaltigkeit“, sondern muss mit seinen Prinzipien und fachübergreifenden Themen integrativer Bestandteil aller Bildungsmaßnahmen werden.7
Breitenwirkung und Integration ist nicht nur erwünscht, sondern Auftrag.8 Aus diesen Gründen genießt BNE hohe Priorität bei politischen Entscheidungsträgerinnen der UNESCO, der Bundesregierung, den Landesregierungen als auch in der Zivilgesellschaft.
Kompetenzen
Kompetenzen
Nachhaltige Entwicklung ist eine „regulative Idee“, sie kann auf vielfältige Weise verwirklicht werden.9 Die Vorgabe bestimmter Handlungen als Ziel einer Bildungsmaßnahme (z.B. Kauf von Bio-Lebensmitteln) würde der Vielfalt der Anforderungen im Alltag nicht gerecht werden. Auch Wissen allein reicht für die Bewältigung komplexer Herausforderungen nicht aus.10 Es ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass der Zusammenhang zwischen (Umwelt-)Wissen, dem Umweltbewusstsein und dem tatsächlichen Alltagsverhalten sehr gering ist.11 Kompetenzen stellen als Fähigkeit bestimmte Probleme in variablen Situationen zu lösen hingegen ein adäquates Ziel von BNE dar.12
Was möchte BNE erreichen?
Ziel der BNE ist es nicht, die Gesellschaft beziehungsweise die Welt in bereits vordefinierter Art zu verbessern oder den Lebensstil ihrer Mitglieder in eine bestimmte Richtung zu lenken. BNE soll die Menschen vielmehr befähigen, eine nachhaltige Entwicklung mitzugestalten, zu fundierten eigenen Positionen zu gelangen und die eigenen Handlungen kritisch zu reflektieren.13 Es geht demnach auch nicht um die Vermittlung von vordefinierten Werten, sondern darum, Lernende in eine Auseinandersetzung mit ihren Werthaltungen und dem Wertekanon zu bringen, der ihnen mit der Idee der Nachhaltigkeit begegnet.14
Komptenzen - ein komplexer Begriff und theoretisches Konstrukt
Der Kompetenzbegriff ist nicht immer eindeutig. Es herrscht ein inflationärer Begriffsgebrauch, mit unterschiedlichsten, teilweise widersprüchlichen Bedeutungen. Daneben existieren innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses einen Vielzahl verwandter Begriffe, die oftmals synonym verwendet werden und sich kaum trennscharf unterscheiden lassen. Kompetenz steht hier neben Begriffen wie Fähigkeiten, (Schlüssel-)Qualifikationen oder Skills.15
Allen Kompetenzdefinitionen ist gemein: „Der Kompetenzbegriff versucht nicht zu zerlegen, was zusammengehört. Eine, oder besser jede Kompetenz umfasst Wissen, Verstehen, Fertigkeiten, Können, Erfahrung, Handeln und Motivation“.16
In Deutschland wird in der Regel der aus dem OECD-Kontext stammende, eher kognitionspsychologisch geprägte - also auf das Denken und Wissen, weniger auf Emotionen ausgerichtete - Kompetenzbegriff von Weinert verwendet. Kompetenzen bezeichnen demnach „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften, damit die Problemlösung in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll genutzt werden können“.17
Ein wichtiges Merkmal von Kompetenz ist demnach, dass sie in Anwendungs- bzw. Anforderungssituationen erworben werden. Kompetenz wird allgemein in der aktuellen bildungswissenschaftlichen Diskussion auch definiert als eine erlernbare, „kontextspezifische kognitive Leistungsdisposition, die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in bestimmten Domänen bezieht“18. Kompetenzen beziehen sich also auf bestimmte Kontexte und Situationen (Domänen/Bereiche). Sie sind demnach spezifische Kombinationen von Wissen und Können, die in der Auseinandersetzung mit der Umwelt erworben werden.19 Man spricht auch von „erfahrenen Wissensstrukturen“, betont also die Rolle impliziten Wissens, das in sozial situierten Handlungen erworben wird.20
Übertragbarkeit von Kompetenzen schwierig:
Kompetenzen sind als domänenspezifisch zu begreifen. Unter Domänen sind thematische und inhaltliche Sinneinheiten zu verstehen, die relativ unabhängig von anderen Bereichen des Wissens sind. Diese relative Unabhängigkeit ergibt sich weniger aus einer systematischen Abgrenzbarkeit einzelner Wissengebiete voneinander (z.B. in Schulfächern), als aus den Kognitionsleistungen der Lernenden. Wer sich an Gelerntes erinnert oder das Gelernte anwendet, folgt bei diesen Erinnerungen und Handlungen Konnotationen, die das eigene Gedächtnis zur Verfügung hat. Domänen sind von den Erfahrungen mit subjektiv als ähnlich identifizierten Problemlagen und dem individuellen Grad an Expertise in der Sache abhängig. Das heißt, Kompetenzen werden eher bereichsspezifisch und problemorientiert entwickelt als übergreifend und von Situationen abstrahierend. Die Bindung von Kompetenzen an spezielle Situationen und Kontexte macht es schwierig, dass sie von einem Handlungsbereich in einen anderen Bereich transferiert werden. Die sogenannte „Transferforschung“ besagt, dass diese Transferleistung häufig nicht stattfindet. Dieser Umstand begünstigt auch scheinbar widersprüchlicher Handlungsweisen im Bereich des nachhaltigen Alltagshandelns. Daher ist auch die Rede von einer generell hohen Sachkompetenz oder von großen sozialen Kompetenzen eher irreführend. Diese Kompetenzkategorien beschreiben vielmehr vorwiegend analytische Einheiten, die sich in realen (Lern- und Handlungs-) Kontexten nicht voneinander separieren lassen. Insofern ist stets sehr genau anzugeben, welche spezifischen Kompetenzen gefördert oder gemessen werden sollen.21
Die Schwierigkeit, Kompetenzen zu „messen“:
Für die Kompetenzmodellierung sind Theorien von domän-, also bereichsspezifischen, Lernprozessen erforderlich. Eine solche Lerntheorie müsste erklären können, auf welche Art und Weise sich Lernende die komplexen Gegenstände der BNE aneignen. Solche Lerntheorien liegen jedoch bis heute (noch) nicht vor.22
Kompetenzen äußern sich zudem durch Handlung oder Verhalten in bestimmten Situationen. Sie können daher nur indirekt erfasst werden. Dies macht zum einen die Berücksichtigung des Umfelds zu einer zentralen Herausforderung, zum anderen muss beachtet werden, dass eine Kompetenz bei unterschiedlicher Unterstützung und damit in einem anderen Umfeld verschiedenartig realisiert werden kann. Die Erscheinungsform einer Kompetenz ändert sich mit dem Kontext und lässt sich eher in Form von Entwicklungskorridoren als durch starre, objektive Merkmale beschreiben.23
Grundsätzlich lässt sich das BNE-Kompetenzmodell bisher als Systematisierung vornehmlich normativ begründeter Bildungsziele (gesellschaftliches Ziel der Nachhaltigkeit) charakterisieren. Sowohl eine breite theoretische Fundierung der Modelle als auch deren empirische Überprüfung ist – mit Ausnahme der Teilkompetenz des Bewertens24 - bisher ausgeblieben. Dadurch können Kompetenzmodelle in der BNE zentrale allgemeine Kriterien von Kompetenzmodellen noch nicht erfüllen: Kompetenzmodelle sollen sich an der Logik fachspezifischer Lernprozesse und des fachspezifischen Wissens- und Kompetenzerwerbs orientieren. In den Modellen sollen verschiedene Dimensionen einer Domäne unterschieden und deren Zusammenhänge bestimmt werden; sie sollen Aufschluss über die Binnenstruktur einzelner Kompetenzen und das Zusammenwirken einzelner Teil- und Unterkompetenzen geben. Eine weitere wichtige Funktion von Kompetenzmodellen besteht darin, Entwicklungsverläufe einzelner Kompetenzen nachvollziehbar zu machen und Anforderungen als Kompetenzstufen festzulegen. Deren Definition bildet die Voraussetzung für die empirische Überprüfung und den Vergleich, beispielsweise von Schülerleistungen.25
Um zumindest Teilaspekte von Kompetenzen zu messen, werden oftmals rein kognitive Kompetenzfacetten herausgegriffen (Wissensebene). In der BNE ist eine Schwerpunktsetzung auf kognititve Aspekte problematisch, da diese nicht den Kern der einzelnen Kompetenzen ausmachen. Gerade wenn im Umgang mit globaler Komplexität umfassende Handlungs- und Gestaltungskompetenzen realisiert werden sollen, müssen neben den kognitiven auch volitionale und motivationale Aspekte, Werthaltungen und Handlungsroutinen berücksichtigt werden.26
Schlüsselkompetenzen:
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… werden als multifunktionale und kontextübergreifende Kompetenzen verstanden, die als besonders relevant für die Erreichung wichtiger gesellschaftlicher Ziele (z.B. Nachhaltigkeit) betrachtet werden, für alle Individuen von Bedeutung sind und einen hohen Grad an Reflexivität voraussetzen.27
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… sind anders als gewöhnliche Kompetenzen relevant für verschiedene Lebensbereiche und alle Individuen. Kompetenzen, die für bestimmte Einsatz- oder Arbeitsgebiete notwendig sind erfüllen diese Anforderungen nicht. Schlüsselkompetenzen ersetzen solche domänspezifischen Kompetenzen, die für erfolgreiches Handeln in bestimmten Situationen und Kontexten notwendig sind nicht, vielmehr haben sie einen anderen, weiteren Fokus. Verstanden als übergreifende Kompetenzen lassen sich Schlüsselkompetenzen auch als „Querschnittskompetenzen“ abbilden.28
Die „Gestaltungskompetenz“ der BNE und ihre 12 Teilkompetenzen wurden in Anlehnung an die von der OECD im Jahr 2005 formulierten Schlüsselkompetenzen entwickelt.
BNE als Wertediskurs statt Wertediktat29
BNE erschöpft sich nicht in der Kompetenzentwicklung, sondern ist auch ein Bildungskonzept, das einen kritischen Wertediskurs eröffnet. Wenn man eine nachhaltige Entwicklung als einen gesellschaftlichen Lern-, Verständigungs- und Gestaltungsprozess begreift,30 kann es nicht darum gehen, durch Bildungsprozesse Lernenden bestimmte Verhaltensweisen oder Wertorientierungen antrainieren zu wollen. Denn es ist Teil des Prozesses selbst, sich auf eben solche zu verständigen.31 Allerdings ist auch klar, dass Nachhaltigkeit keine „theory about everything“ sein kann 32 und somit auch BNE nicht beliebig ist. In der Debatte über eine Wertebildung ist BNE in ihrer deutschsprachigen Ausprägung als ein Ansatz zu verorten, dem es nicht darum geht, vorgegebene Werte zu vermitteln. Gleichwohl orientiert sich BNE an Ideen der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit.33 Sie verfolgt vor diesem Hintergrund stets das wertbezogene Ziel, zu einer „Sensibilisierung für eine Überlebensverantwortung“34 beizutragen. Zugleich ist es ein pädagogisches Ziel einer BNE, eine Auseinandersetzung mit Werthaltungen im Sinne einer „Werterklärung“35 zu ermöglichen, die mit dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung verbunden sind (insbesondere in Bezug auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, Menschenwürde und Gerechtigkeit).36 Eine so verstandene BNE kann zu einem „Wertewandel zur Nachhaltigkeit“37 beitragen, ohne Lernende zu bevormunden oder zu überwältigen. Im Gegenteil unterstützt sie die Entwicklung einer reflexiven Kompetenz. Sie kann und soll Anregungen geben, die eigenen Werte zu reflektieren und Stellung zu nehmen in der Wertedebatte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung.38 Ihr Potenzial liegt somit auch darin, den Wertehorizont der Lernenden zu erweitern. So können zum Beispiel die lateinamerikanischen Diskurse zum Buen Vivir und zu den Rechten der Natur in die Wertedebatte einbezogen werden.39 Damit können eurozentrische Denkweisen erweitert und kritisch reflektiert werden.
BNE 1 vs. BNE 240
In der Diskussion um BNE werden mit BNE 1 (sogenannter „instrumental apporach“) und BNE 2 (sogenannter „emancipatory approach“) zwei Strömungen unterschieden.41
- BNE 1 ("instrumental approach") geht von der Überzeugung aus, dass es bestimmte Werte und Verhaltensweisen gibt, die eindeutig mit einer nachhaltigen Entwicklung verbunden sind. Expertinnen können diese identifizieren. Ziel von BNE ist es dementsprechend, Bewusstsein für eine nachhaltige Entwicklung zu schaffen, mit Nachhaltigkeit verbundene Werte zu vermitteln und als nachhaltig erkannte Verhaltensweisen zu fördern. Es sollen durch die Bildungsprozesse bestimmte Verhaltensweisen wie die Trennung von Müll oder das Sparen von Energie befördert werden.42 Unter Bezug auf Ansätze der Umweltpsychologie43 werden z.B. Anreize gegeben, um ein bestimmtes, vermeintlich nachhaltiges Verhalten attraktiv zu machen. Dieser Ansatz wird z.B. in den Zielsetzungen der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2005-2014) und des nachfolgenden Weltaktionsprogramms (WAP) deutlich: „Das (…) WAP trägt dazu bei, jene Vision zu erreichen, für die sich bereits die UN-Dekade eingesetzt hat: „Eine Welt, in der alle von Bildung profitieren können und die Werte, Verhaltensweisen und Lebensstile erlernen, die für eine nachhaltige Zukunft und für eine positive gesellschaftliche Transformation nötig sind“.44 Aber auch Stellungnahmen von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen wird häufig Bezug darauf genommen, dass von einer BNE direkte Beiträge zu einer nachhaltigen Lebensweise erwartet werden.
- BNE 2 („emancipatory approach“) hingegen geht von einem reflexivieren Ansatz aus. Hier geht es weniger darum, Denk- und Verhaltensweisen vorzugeben, sondern Individuen sollen in die Lage versetzt werden, selbst über Fragen einer nachhaltigen Entwicklung nachzudenken und ihre eigenen Antworten zu finden.45 Leitend ist dabei die Erkenntnis, dass oft gar nicht sicher ist, welche Verhaltensweisen effektiv die nachhaltigeren sind.46 BNE im Sinne von BNE 2 befähigt zu einer kritischen Auseinandersetzung mit einer nachhaltigen Entwicklung und mit der Komplexität, der Unsicherheit sowie den Widersprüchen, die mit ihr verbunden sind. Hier wird eine nachhaltige Entwicklung selbst als ein Lernprozess verstanden.47
- BNE 3?48 In jüngster Zeit zeichnet sich eine dritte Position ab, die den Versuch darstellt, die Pole BNE1 und BNE 2 nicht als Gegensatzpaare, sondern als zwei Seiten einer Medaille aufzufassen. Vare/Scott (2007)49 argumentieren, dass BNE beides leisten müsse: sowohl Menschen dazu befähigen, konkrete und weitgehend konsensuale Veränderungen im Sinne nachhaltiger Entwicklung unterstützen zu können (BNE 1), als auch sie zum grundsätzlichen Hinterfragen von Positionen, die Gültigkeit beanspruchen und zur Mitwirkung bei der Klärung offener Fragen anzustiften (BNE 2).
Auch wenn einige Autoren50 beide Ansätze als komplementär betrachten, wird häufig aus pädagogischer Perspektive besonders im Schulbereich aufgrund des Überwältigungsverbots (vgl. Beitelsbacher Konsens) BNE 2 favorisiert. Diese Argumentation findet sich auch bei einem der bekanntesten deutschen BNE-Forscher Gerhard de Haan: Bildung für nachhaltige Entwicklung beziehe sich nicht auf die Ziele, Zwecke und Absichten des Handelns von Individuen, sondern auf die Wirkungen. Sie soll Individuen in die Lage versetzen, „wenn sie entsprechende Ziele, Zwecke oder Absichten haben“, im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung handeln zu können.51 Es geht mithin um die „Eröffnung von Möglichkeiten“52 und nicht darum, zu einem bestimmten vermeintlich nachhaltigkeitskonformen Verhalten zu erziehen. Lernende sollen befähigt werden, „eine nachhaltige Entwicklung mitzugestalten und ihre eigenen Handlungen diesbezüglich kritisch zu reflektieren“.53 Dieser emanzipatorische Ansatz sieht als das wesentliche Bildungsziel die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen an.
Das Konzept der Gestaltungskompetenz läuft demnach nicht in diese Gefahr, Lernende als "Change agents" für ein bestimmtes Ziel zu instrumentalisieren, da es in seiner Allgemeinheit eine Ganzheitlichkeit von Bildung anstreben. Gleichzeitig kommt ihm dadurch jedoch teilweise die spezifische Orientierung an Nachhaltigkeit abhanden.54
Gestaltungskompetenz - Die Kompetenz der BNE
Gestaltungskompetenz bezeichnet „das nach vorne weisende Vermögen, die Zukunft von Sozietäten, in denen man lebt, in aktiver Teilhabe im Sinne nachhaltiger Entwicklung modifizieren und modellieren zu können“.55 Gestaltungskompetenz bildet eine „mehrdimensionale Kompetenzstruktur, die den Menschen zur Kommunikation und Kooperation in einem komplexen und dynamischen gesellschaftlichen und natürlichen Umfeld befähigt“.56
Definition Gestaltungskompetenz
Gestaltungskompetenz ist zu verstehen als die Fähigkeit „Wissen über nachhaltige Entwicklung anwenden und Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung erkennen zu können. Das heißt, aus Gegenwartsanalysen und Zukunftsstudien Schlussfolgerungen über ökologische, ökonomische und soziale Entwicklungen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit zu ziehen und darauf basierende Entscheidungen treffen, verstehen und individuell, gemeinschaftlich und politisch umsetzen zu können, mit denen sich nachhaltige Entwicklungsprozesse verwirklichen lassen“.57
Das Konzept der Gestaltungskompetenz zeichnet sich durch 12 Teil-Kompetenzen aus, „die eine zukunftsweisende und eigenverantwortliche Mitgestaltung einer nachhaltigen Entwicklung ermöglichen“:58
Kompetenz 1: Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen
Die erste Teilkompetenz resultiert aus der entwicklungspolitischen Bildung und dem breiten Diskurs über kulturelle Verflechtungen in einer globalisierten Welt:59 So wie die klimatische Entwicklung nicht an Staatsgrenzen halt macht, so sind typischerweise die Phänomene, mit denen man sich in der Debatte um (nicht) nachhaltige Entwicklungen befasst, nur im globalen Maßstab oder nur im Kontext internationaler Verflechtungen angemessen zu thematisieren (etwa: Stoffströme, fairer Handel und nachhaltiger Konsum). Lokale oder nationale Sichtweisen sind daher oftmals nicht hinreichend für die Analyse der Problem-lagen (nicht) nachhaltiger Entwicklungen. Erst die Perspektive anderer Nationen und Kulturen, aber auch die differenten Perspektiven von Ökonomie, Politik und Zivilgesellschaft zu kennen, zu bewerten und zu nutzen macht es möglich, Interessengegensätze und differente Lösungswege für nachhaltige Entwicklungsprozesse, Hemmnisse und Chancen zu identifizieren. Zudem sind andere Sozietäten Träger unterschiedlichster Wissensformen (z. B. wissenschaftlichen, tradierten, lokalen Wissens etwa), die unterschiedliche Lösungswege zur nachhaltigen Entwicklung erlauben.60
Kompetenz 2: Vorausschauend denken und handeln
...bezieht sich auf den prospektiv ausgerichteten Zeithorizont der Nachhaltigkeit: Sie ist definitionsgemäß ausgerichtet auf die Präferenz, für die Gegenwart Handlungsperspektiven zu entwickeln, die sich positiv auf die Ausgestaltung von Zukunft auswirken – und ist entsprechend an künftigen Entwicklungen interessiert. Prognosen und Szenarien, Simulationen etc. bezüglich der Veränderungen des Klimas sind ebenso von Interesse wie die Handlungsstrategien, die es erlauben, nicht nachhaltige Entwicklungsprozesse zu reduzieren und nachhaltige Entwicklungen voranbringen zu können. Dies gilt ebenso für ökologische Systeme wie für Fragen der sozialen Gerechtigkeit und ökonomische Entwicklungsprozesse. Die genannten Methoden wie auch viele andere (Zukunftskonferenzen, Delphi-Verfahren usw.) sind in der (schulischen) Bildung bisher kaum aufgegriffen worden. Sie sind für den Erwerb zukunftsbezogener Kompetenzen, die antizipatives Denken umfassen, allerdings unverzichtbar.61
Kompetenz 3: Interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln
Die dritte Teilkompetenz legitimiert sich durch Arbeitsformen bei der Auseinandersetzung mit dem Themenfeld der Nachhaltigkeit. Sie sind in aller Regel interdisziplinär. Die Komplexität von Problemen und Handlungsoptionen lassen sich disziplinär kaum angemessen beschreiben und analysieren. Dieses gilt für das Verständnis des Aufbaus, die Funktion und die Entwicklung der Biosphäre ebenso wie für das Beschreiben und Erklären der Beziehungsgeflechte für die Darstellung nicht nachhaltiger globaler Entwicklungen, wie zum Beispiel der Syndromansatz belegt.62 Auch übergreifende Konzepte der Nachhaltigkeit (z. B. der starken, kritischen und schwachen Nachhaltigkeit; Konzepte und Visionen der Verteilungsgerechtigkeit; Interdependenzen zwischen Ökologie, Ökonomie, Politik, Konflikten, Armut und Gewalt in ihren historischen Ursachen und gegenwärtigen Folgen) und Detailkonzepte für nachhaltige Entwicklungen in den Bereichen Technik, Ökonomie, Handel, Mobilität, Flächennutzung, Bauen und Wohnen, Konsum, Freizeit, Prüfkriterien für nachhaltige Entwicklungen, die Unterschiede zwischen erneuerbaren und nicht erneuerbaren Ressourcen und ihre Nutzung (z.B. nachwachsende Rohstoffe, fossile Energieträger) sind nur durch das Zusammenwirken zahlreicher Fachdisziplinen angemessen zu erfassen.63
Zwischen dem Erwerb interdisziplinären Wissens und partizipatorischem Lernen (siehe BNE-Prinzip 1: Teilhabe) gibt es enge Beziehungen. Diese bestehen in einer grundsätzlichen Verständigungs- und Dialogfähigkeit, ohne die interdisziplinäres Arbeiten nicht realisiert werden kann. Damit ist die Teamfähigkeit als eine der wichtigsten sozialen Kompetenzen angesprochen (Kompetenz 6: Fähigkeit zur Kooperation). Hinzu kommt die Notwendigkeit zum konstruktiven Umgang mit Vielfalt (Kompetenz 3: Andere Perspektiven einnehmen können) bei fachwissenschaftlichen Zugängen zu Themen aber auch unterschiedliche kulturelle Sichtweisen.64
Kompetenz 4: Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen können
Die vierte Teilkompetenz ist wegen der speziellen zeitlichen und räumlichen Strukturen (nicht) nachhaltiger Entwicklungen von besonderer Bedeutung. Nicht nachhaltige Entwicklungen gelten als Risiken und Gefahren für die Ökosysteme ebenso wie für individuelle, regionale, nationale und globale Entwicklungen. Dabei sind wissenschaftliche Aussagen wie massenmediale Formen der Kommunikation über (nicht) nachhaltige Entwicklungen grundsätzlich von Unsicherheit, aber auch teils überfordernder Informationsfülle, geprägt. Denn in jeder Rede von künftigen (ob positiv oder negativ konnotierten) Ereignissen und Veränderungsprozessen wird mit Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten operiert. Von zukünftigen Zuständen und Situationen lässt sich schließlich nicht als Tatsache sprechen, sondern nur in Form von Wahrscheinlichkeiten, die sich in Prognosen ausdrücken mögen oder von Möglichkeiten, die etwa in Form von Delphis oder Szenarien präsentiert werden. Von daher ist es unerlässlich, im BNE-Kontext Kenntnisse über die Wahrscheinlichkeitstheorie, aber auch Grundlagen der mathematischen Stochastik zu erwerben. Ebenso ist es erforderlich, Risiken abschätzen zu können und sich ihnen gegenüber positionieren zu können. Das impliziert besonders auch den Erwerb von Fähigkeiten, auf die subjektive Seite des Umgangs mit Risiken und Unsicherheiten zu reflektieren.65
Kompetenz 5: Gemeinsam mit anderen planen und handeln können
Die Teilkompetenz „Gemeinsam mit anderen planen und handeln können“ (Kooperationsfähgikeit) und die Teilkompetenz 7 „An kollektiven Entscheidungsprozessen teilhaben können“ (Partizipationsfähigkeit) erklären sich aus der Einsicht, dass eine umfassende nachhaltige Entwicklung sich nicht allein auf staatliches Handeln, auf Einsichten und Strategien der Wirtschaftsunternehmen, auf Gesetze, Verordnungen und ihre Durchsetzung stützen kann. Solidarität und Zukunftsvorsorge für Mensch und Natur sind eine gemeinschaftliche und gesellschaftliche Aufgabe. Nicht ohne Grund wurde schon in der Agenda 21 der Rio-Konferenz von 1992 auf die Bedeutung eines „mentalen“ Wandelns und die Partizipation der Bevölkerung als zentralem Motor für nachhaltige Entwicklung hingewiesen. Nachhaltigkeit ist als Ziel der Entwicklung der Weltgesellschaft zwar allgemein anerkannt, aber die Wege dorthin werden in der Völkergemeinschaft, zwischen Akteuren und innerhalb von Sozietäten, kontrovers diskutiert. Wandlungsnotwendigkeiten, -geschwindigkeiten und Strategien fallen disparat aus. Daher ist es unerlässlich, differente Standpunkte zur Nachhaltigkeit auf ihre Hintergründe hin zu analysieren und in diesem Zusammenhang Kontroversen demokratisch, rational und entscheidungseffizient austragen zu können. In diesem Kontext werden oftmals Interessengegensätze, Vorurteile, Feindbilder und Formen der Diskriminierung, Verletzungen von Menschenrechten unterschwellig oder offen wirksam. Es ist nicht nur erforderlich, diese identifizieren zu können, sondern zu lernen, sie gemeinsam zu bewältigen.66
Kompetenz 6: Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen können
Diese Teilkompetenz gewinnt ihre Legitimation durch die Einsicht, dass bei der Initiierung nachhaltiger Entwicklungsprozesse in aller Regel Zielkonflikte auftreten. Wo ökologische Notwendigkeiten gegen ökonomische Interessen und sozial erwünschte Entwicklungen abgewogen werden müssen, stehen sich oftmals konkurrierende Ziele gegenüber. Nicht alle Zielkonflikte lassen sich durch Rangfolgen in den Zielsetzungen lösen. Oftmals sind die Entscheidungsoptionen von dem Dilemma geprägt, ein Ziel nur bei Vernachlässigung eines anderen, ebenso attraktiven oder notwendigerweise anzustrebenden Ziels, erreichen zu können. So kann – bei prinzipiell beschränkten monetären Ressourcen – das Dilemma entstehen, zum Beispiel in Technologien für Umweltschutz investieren zu wollen, dafür aber die ebenfalls wünschenswerte Angleichung der Löhne von Frauen an die der Männer in einem Unternehmen nicht realisieren zu können. Die Auseinandersetzung mit diesen – eher den Normalfall als die Ausnahme bildenden – Ausgangslagen für Entscheidungsprozesse gemeinschaftlich betreiben zu können ist im doppelten Sinne unerlässlich: Einerseits im Hinblick auf die Struktur von Entscheidungen für nachhaltige Entwicklungsprozesse, andererseits im Hinblick auf die demokratische Aushandlung von Entscheidungen bei differenten Zielsetzungen.67
Kompetenz 7: An kollektiven Entscheidungsprozessen teilhaben können
Die Teilkompetenz „An kollektiven Entscheidungsprozessen teilhaben können“ (Partizipationsfähgikeit) und die Teilkompetenz 5 „Gemeinsam mit anderen planen und handeln können“ (Kooperationsfähigkeit) erklären sich aus der Einsicht, dass eine umfassende nachhaltige Entwicklung sich nicht allein auf staatliches Handeln, auf Einsichten und Strategien der Wirtschaftsunternehmen, auf Gesetze, Verordnungen und ihre Durchsetzung stützen kann. Solidarität und Zukunftsvorsorge für Mensch und Natur sind eine gemeinschaftliche und gesellschaftliche Aufgabe. Nicht ohne Grund wurde schon in der Agenda 21 der Rio-Konferenz von 1992 auf die Bedeutung eines „mentalen“ Wandelns und die Partizipation der Bevölkerung als zentralem Motor für nachhaltige Entwicklung hingewiesen. Nachhaltigkeit ist als Ziel der Entwicklung der Weltgesellschaft zwar allgemein anerkannt, aber die Wege dorthin werden in der Völkergemeinschaft, zwischen Akteuren und innerhalb von Sozietäten, kontrovers diskutiert. Wandlungsnotwendigkeiten, -geschwindigkeiten und Strategien fallen disparat aus. Daher ist es unerlässlich, differente Standpunkte zur Nachhaltigkeit auf ihre Hintergründe hin zu analysieren und in diesem Zusammenhang Kontroversen demokratisch, rational und entscheidungseffizient austragen zu können. In diesem Kontext werden oftmals Interessengegensätze, Vorurteile, Feindbilder und Formen der Diskriminierung, Verletzungen von Menschenrechten unterschwellig oder offen wirksam. Es ist nicht nur erforderlich, diese identifizieren zu können, sondern zu lernen, sie gemeinsam zu bewältigen.68
Kompetenz 8: Sich und andere motivieren können, aktiv zu werden
Diese Teilkompetenz mag zunächst ungewöhnlich erscheinen. Da Kompetenzen aber als Fähigkeit definiert sind, in Alltagssituationen handlungsfähig zu sein, sind Aspekte der Selbst- und Fremdmotivation von zentraler Bedeutung im Kompetenzerwerb. Dies gilt umso mehr, als aus der jüngeren Motivationspsychologie bekannt ist, wie wichtig in diesem Kontext nicht nur Kenntnisse und rationale Argumentationsmuster für ein spezifisches Handeln sind, sondern auch Emotionen (Hoffnung auf Erfolg, Antizipation künftiger positiver Gefühle, Ambiguitätstoleranz, Vertrauen usw.). Und wie man sich individuell wie gemeinschaftlich zu den Zukunftsprognosen und Szenarien verhält, ist nicht allein rational geprägt. Emotional beeinflusst sind insbesondere der Umgang mit Dilemmata, Ungewissheiten und offenen Situationen. Daher ist das BNE-Prinzip 5 "Emotionen" auch von grundlegender Bedeutung. Aus der Risikoforschung ist zudem bekannt, dass jegliche Veränderung des eigenen wie kollektiven Verhaltens mit Unsicherheit einhergeht und die Nachhaltigkeitswissenschaft als Zukunftsdisziplin immer von Ungewissheiten geprägt ist. Und was wäre in diesem Kontext ein besserer Ausweis bezüglich der erworbenen Fähigkeiten sowohl im Umgang mit Unsicherheiten wie der Selbst- und Fremdmotivation zum Handeln im Sinne der Nachhaltigkeit als jener, nicht nur sich selbst, sondern auch andere dazu bewegen zu können, sich für nachhaltige Entwicklung zu engagieren?69
Kompetenz 9: Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können
Diese Teilkompetenz ist eine Reminiszenz an die Bildungstradition. Ein modernes Bildungsverständnis70 setzt auf eine Persönlichkeitsentwicklung, die auf Autonomie, Individualität und Gemeinschaftlichkeit zielt. Dieses ist allerdings nicht so zu verstehen, dass Egoismus, Selbstverwirklichung und das Ausnutzen der Gemeinschaft für individuelle Zwecke damit verbunden wären. Vielmehr gehört zum „Gebildet sein“ die Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeit, die Fähigkeit und den Willen, sich zu verständigen, das Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der eigenen Existenz und die Bereitschaft zur Selbstverantwortung und Verantwortung in der res publica.71 Im Kontext von BNE gestaltet sich dies zum Beispiel aus in der Kenntnis über die Hintergründe, Formen und Auswirkungen des eigenen Lebensstils und des Lebensstils anderer Personen sowie Gesellschaften auf die Lebens- und Arbeitssituation anderer Menschen sowie auf die Biosphäre. Ferner im Wissen über Lebensweisen, welche einen nachhaltigen Konsum, eine umwelt- und sozialverträgliche Mobilität und Freizeitgestaltung sowie die Gesundheit sichern und befördern.72
Kompetenz 10: Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungs- und Handlungsgrundlage nutzen können
Die Aktivitäten für eine nachhaltige Entwicklung haben ihr Fundament im Bestreben, zeitlich wie räumlich gerechtere Verhältnisse zu schaffen. Räumlich gesehen soll es einen Ausgleich geben zwischen den hoch industrialisierten (Wissens-) Gesellschaften und den sogenannten Entwicklungsländern. Zeitlich gesehen soll generationenübergreifend dafür Sorge getragen werden, dass künftige Generationen Lebensbedingungen vorfinden, die zumindest nicht negativer bewertet werden müssen als diejenigen, in denen heute lebende Generationen existieren. Die differenten und im akademischen wie politischen und alltäglichen Diskurs oftmals kontrovers diskutierten Varianten einer verteilenden und ausgleichenden Gerechtigkeit zu kennen und kritisch zu diskutieren, ist unerlässlich, wenn man naiven Gerechtigkeitsvorstellungen entkommen will. Dabei bietet gerade die Wahrnehmung der Funktion von Moral und Gerechtigkeit als soziale Ressource, die auch für die Erreichung eigener Zwecke unverzichtbar ist, einen guten Zugang, auf die eigenen Präferenzordnungen und die für die Erhaltung der sozialen Ressource erforderliche Rücksichtnahme auf andere bei der Handlungsplanung zu reflektieren. So wird Moral nicht als vorgegebenes System von Forderungen und Appellen erfahren, sondern als ein „Unternehmen zum gegenseitigen Vorteil“73, das der Organisation des gesellschaftlichen Miteinanders dient und für dessen Erhalt, Ausgestaltung und Fortentwicklung jeder einzelne mitverantwortlich ist. Aufmerksamkeit für die erforderlichen Formen verallgemeinernden Argumentierens und die Möglichkeiten und Notwendigkeiten zur Moralfortbildung angesichts sich (z. B. durch technische Entwicklungen) ändernder Handlungsumgebungen sind dabei wichtige Voraussetzungen für die Ausbildung einer Moral, die auch auf die Ansprüche Angehöriger künftiger Generationen Rücksicht nimmt.74
Kompetenz 11: Eigenständig planen und handeln können
„Eigenständig planen und handeln können“ als weitere Teilkompetenz ist als Pendant zur Teilkompetenz 5 „Gemeinsam mit anderen planen und handeln können“ zu verstehen – hier allerdings bezogen auf die individuelle Seite. Die Argumentation für diese Teilkompetenz ist von daher ähnlich gelagert, nur dass hier der individuelle Aspekt betont wird. Insbesondere das persönliche Engagement ist gefragt, wenn es um veränderte Lebensstile, Konsumgewohnheiten und die Rechte anderer Personen und Gemeinschaften geht. Aber auch eigene Lebenspläne unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit zu entwerfen und dabei die persönlichen Rechte, Bedürfnisse und Interessen artikulieren und durchsetzen zu können, ohne deren Grenzen vor dem Hintergrund des Ziels nachhaltiger Entwicklungsprozesse sowie der Rechte anderer Menschen und künftiger Generationen zu vernachlässigen, zählt zu den Fähigkeiten, die dieser Teilkompetenz zugerechnet werden.75
Kompetenz 12: Empathie für andere zeigen können
Die Teilkompetenz hat einen engen Bezug zur Ethik der nachhaltigen Entwicklung. Sie handelt von der innergenerationellen und der generationenübergreifenden Gerechtigkeit. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung wurde zwar im Kontext der Frage entwickelt, wie man einen haushälterischen Umgang mit natürlichen Ressourcen pflegen kann und war ursprünglich gegen den Raubbau an der Natur gerichtet. Seit Umwelt und Entwicklung aber zusammengedacht werden, ist nachhaltige Entwicklung eng verknüpft mit dem Bestreben, eine gerechte Weltgesellschaft zu schaffen. Das hat mehrere Konsequenzen: Nachhaltige Entwicklung ist erstens ein anthropozentrisches Konzept. Der Schutz der Natur um ihrer selbst willen – wie immer dieses begründbar sein mag – ist diesem Konzept nicht attribuiert. Humane Lebensverhältnisse für alle ist das Ziel des nachhaltigen Handelns – auch in Bezug auf den Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen. Zweitens werden globale Zusammenhänge, insbesondere die Beziehungen zu den Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern und die Lebensverhältnisse der sozial Schwachen in den Vordergrund gerückt.76
Allerdings darf man in der Pädagogik nicht "auf das solidarische Verhalten hin erziehen". Die Lernenden müssen zu eigenen Entscheidungen gelangen können. Von daher sollte beispielsweise in der Schule nicht gemessen werden, ob und in welchem Maße die Kompetenz zum solidarischen Handeln gezeigt wird. Ob die Lernenden dies tatsächlich verwirklichen, liegt in ihrer Hand (Überwältigungsverbot). Sie sollten jedoch in der Lage sein, Wege und Möglichkeiten empathischen, solidarischen Handelns aufzeigen und beschreiben zu können.77
Was ist bei BNE-Kompetenzerwerb wichtig?
Bei BNE-Kompetenzen wird ein besonderes Augenmerk auf die kritische Hinterfragung von Werten sowie auf die aktive und kooperative Gestaltung der Zukunft gelegt.78 Es geht nicht mehr nur um den Erwerb von Wissen, sondern auch um dessen Anwendung in konkreten Situationen, um die Auswirkungen des eigenen Handelns einschätzen zu lernen.79
Ein wichtiger Teilbereich der BNE, der sich auf Globaliserungsthemen fokussiert, ist das sogenannte „Globale Lernen“. Das Globale Lernen hat spezifische Kompetenzen, die leicht von denen der BNE abweichen. Hier mehr erfahren!
Prinzipien
Prinzipien
Empfehlungen, wie BNE gelehrt und gelernt werden kann, werden durch die didaktischen Prinzipien einer BNE dargelegt und können zudem aus Erkenntnissen kompetenzförderlicher Lernarrangements gewonnen werden.
Zentrale BNE Prinzipien sind Selbstorganisation und Selbstbestimmung.80 BNE rückt zudem mit dem Erwerb von Kompetenzen aktivierende Formen des Lernens in den Fokus. Lernen ist nicht länger der passive Erwerb von präsentiertem Wissen, sondern eine aktive Wissenskonstruktion und -aneignung durch die Lernenden,81 die zudem auch die Arbeit mit unseren Sinnen und Emotionen einschließt.
Grundlegende Prinzipien für die Gestaltung von BNE-Lernumgebungen im Detail:
Prinzip 1: Beteiligung und Teilhabe
Die Partizipation möglichst aller Menschen bzw. Gruppen von Menschen an der gesellschaftlichen Entwicklung ist ein zentraler Grundsatz der Idee der Nachhaltigkeit.82 Die Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen machen die Integration von Wissensbeständen betroffener Akteure notwendig.83 Partizipatives Lernen greift die zentrale Forderung derAgenda 21 nach Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen im Prozess nachhaltiger Entwicklung auf. BNE kann mit ihren Lehr- und Lernformen auf diese Teilhabe vorbereiten, die gezielt demokratische Handlungskompetenzen vermitteln.84 Dieses erfordert Veränderungen in Planung und Organisationsstrukturen von Bildungsmaßnahmen, was Lehren (Rolle der Workshopleiterinnen und Lehrer) und Lernen (Lernorte, Partizipation der Lernenden) betrifft. BNE geht davon aus, dass Lernprozesse selbst als Partizipationsprozesse zu gestalten sind und sich an Partizipation zu orientieren haben.85 Denn Kompetenzen können nicht einfach gelehrt oder unterrichtet werden, sie müssen selbst entwickelt werden.86 Zwischen dem Erwerb interdisziplinären Wissens (Prinzip 6: Vielfalt an Perspektiven) und partizipatorischem Lernen gibt es enge Beziehungen. Diese bestehen in einer grundsätzlichen Verständigungs- und Dialogfähigkeit, ohne die interdisziplinäres Arbeiten nicht realisiert werden kann. Damit ist auch die Teamfähigkeit als eine der wichtigsten sozialen Kompetenzen angesprochen.87 BNE erfordert daher solche Lernumgebungen, die selbstorganisiertes und projektorientiertes Lernen ermöglichen.
Prinzip 2: Handeln
Handlungsorientierung umfasst den Anspruch, die Aktivität der Lernenden ausdrücklich mitzudenken und kontinuierlich herauszufordern. Die Lernenden sollen bei der Auswahl, Zielsetzung und Gestaltung der Lernprozesse aktiv handelnd beteiligt werden, was eine Verbindung zum Prinzip der Partizipation (Prinzip 1) darstellt. Die Lernenden sollen den Wert und die Bedeutung der Bildungsinhalte für das gegenwärtige und das zukünftige Leben und Handeln erfahren, was eine Verbindung zum Prinzip 5 (Gefühle) bzw. der Wertorientierung bildet.88 Handlungsorientierte BNE ist - am Beispiel Schule - „ganzheitlicher und schüleraktiver Unterricht, in dem die (…) Handlungsprodukte (den Unterrichtsprozess) leiten, so dass Kopf- und Handarbeit in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden können“.89 Durch die handelnde Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsinhalt und die anschließende Reflexion der gemachten Erfahrungen gelangen die Lernenden zu vertieften Erkenntnissen.90 Handlungsorientierte BNE ist organisatorisch anspruchsvoller als konventionelle, eher auf passive Wissensaufnahmen ausgerichtete Bildung. Sie fördert die Entstehung kognitiver Strukturen, die Freude an der Bildung und nachhaltigere Lernergebnisse, weil sich die Lernenden mit dem Thema und den Zielen der Bildungsmaßnahmen identifizieren.91 Handlungsorientierung erfordert in Schulen fächerübergreifendes Lernen (siehe Prinzip 6: Vielfalt an Perspektiven) und die Einübung von kooperativem und kommunikativem Handeln (siehe Prinzip 3: Gemeinschaft).
Vom Handeln zum Wissen?
Im Diskurs um die Ausgestaltung guter BNE wird darauf hingewiesen, dass Handlung nicht immer die natürliche Folge des Erwerbs von Wissen, Einstellungen und Werten darstellt. Vielmehr wird angeregt, auch über Handlungserfahrungen selbst Lernprozesse anzuregen und die Losung "vom Wissen zum Handeln" somit absichtsvoll zur Losung "vom Handeln zum Wissen" umzukehren.92
Handeln und Teilhabe fördern Selbstwirksamkeit93
Durch erfolgreiches Handeln wird das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Bereitschaft, sich aktiv einzusetzen, gestärkt. Partizipation, Handlungsorientierung und Selbstwirksamkeit stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Selbswirksamkeitserfahrungen sind wichtige Förderer nachhaltigen Handelns ("Mein Handeln und mein Beitrag haben eine Wirkung!"). Sie entwickelt sich am ehesten, wenn es umfassende Möglichkeiten gibt, sich einzubringen, eigene Handlungsalternativen zu entwickeln und diese dann zu erproben und ihre Wirkungen dann zu bewerten und zu reflektieren. Die Umsetzung von Partizipation als Grundlage für Handlungsorientierung und Selbstwirksamkeit hat sich in formalen Lernumgebungen wie Schulen teilweise als Hürde erwiesen, rüttelt Partizipation doch an tradierten Funktionen der Lehrkraft, Partizipation heißt auch Verzicht auf Macht.94 Eine Mehrheit der Lehrkräfte ist jedoch (noch) nicht bereit, ihre Rolle konsequent und umfassend neu zu definieren, wie bisherige empirische Forschung zeigt. Das Ziel ist eine Lernpartnerschaft, in der die Stoffvermittlung durch die Unterstützung und Moderation hochgradig selbstständiger Lern- und Erprobungsprozesse abgelöst wird, so wie es konstruktivistisch orientierte Lehr-Lernformen zum Ziel haben.95
Prinzip 3: Gemeinschaft
Das Lernen in Gruppen ermöglicht den Erwerb wichtiger sozialer Kompetenz der BNE. Die Realisierung der komplexen Zielvorstellungen einer nachhaltigen Entwicklung kann nur gemeinsam mit anderen Menschen gelingen. In Gruppen zu interagieren bringt es beispielsweise mit sich, dass man auf unterschiedliche Standpunkte, Interesse und Problembewusstsein trifft.96 Im Austausch und in der Diskussion können „emotionale Spannungszustände“ entstehen, die eine Voraussetzung jeder Werteaneignung darstellen. Situationen, Handlungsweisen und vorhandene Wissensbestände werden im Austausch reflektiert und ggf. neu bewertet. Werden die daraus resultierenden Erkenntnisse und Handlungen individuell und in der sozialen Kommunikation als erfolgreich angesehen, kommt es zu einer Verankerung der handlungsleitenden Wertung ("Werteinteriorisation"). Durch die Kommunikation der so entstehenden Werte im sozialen Umfeld entsteht ein diskursives Normen- und Wertesystem, das, wenn es sich bewährt, immer wieder neu reproduziert wird.97
Das Lernen in Gruppen bzw. in Gemeinschaft bringt zudem als Vorteil mit sich, dass durch einen Wechsel zwischen kollektiven Lernphasen (Vermittlungsphasen, in denen Wissen und Perspektiven mit anderen Lernenden reflektiert werden) und Phasen der subjektiven Auseinandersetzung (Phasen, in denen sich die Lernenden individuell in ihrem Lerntempo mit den Inhalten auseinandersetzen) deutlich höhere Aufmerksamkeit im Lernprozess ermöglicht wird (sogenanntes "Sandwich-Prinzip).98
Prinzip 4: Alltagsbezug und Zugänglichkeit
Das didaktische Prinzip der Zugänglichkeit beinhaltet im Kern folgende Frage: Wie kann eine Nähe zum Lerngegenstand geschaffen werden, damit die Lernenden diesen begreifen und verstehen? Diese Frage ist in einer BNE zusätzlich anspruchsvoll, weil der Zugang zu komplexen und abstrakten Inhalten geschaffen werden muss. Das Gelernte muss für die Lernenden von Bedeutung für ihr gegenwärtiges und zukünftiges Leben sein. Damit dieser Zugang gelingt, muss in der Bildungsmaßnahme am Erfahrungshorizont, dem Vorwissen und den bestehenden Werthaltungen der Lernenden angeknüpft werden. Der Zugang kann auch gelingen, wenn durch die Bildungsmaßnahme selbst Erfahrungen ermöglicht werden und von diesen ausgehend der Lerninhalt erschlossen wird.99 Das Vorwissen und die Interessen der Lernenden in Bildungsmaßnahmen einzubeziehen, schafft günstige Voraussetzungen für Lernprozesse. Man spricht hier in der Lern-Lehr-Theorie vom konstruktivistischen Ansatz.100 Diese Forderung nach der Orientierung an den Lebenswelten der Lernenden schließt an wissenschaftliche Befunde an, die beschreiben, dass Entscheidungen im Feld der Nachhaltigkeit häufig von erfahrungsbasiertem, aber nicht explizitem Wissen und Urteilsheuristiken gesteuert ist.101 Durch die gezielte Ansprache dieser erfahrungsbasierten Grundlagen unserer Vorstellungen, Einstellungen und Handlungen können Lernende befähigt werden, verborgene, nicht-nachhaltige Deutungsrahmen zu reflektieren.102 An Erfahrungen und Lebenswelten orientierte Bildungsmaßnahmen sind daher erfolgreich, wie eine auch wachsende Zahl von Untersuchungen belegt.103
Kontext-Abhängigkeit von Kompetenzen
"Wir wissen nicht – und dürfen nach Lage psychologischer Erkenntnisse nicht optimistisch sein – dass etwa der Erwerb von Kenntnissen über den Raubbau am tropischen Regenwald auch dazu führt, die Kenntnisse in dieser Domäne auf ein anderes Raubbauphänomen, etwa die Überfischung der Kabeljaubestände, übertragen zu können".104
In der Forschung besteht Übereinstimmung, dass Kompetenzen grundsätzlich kontextuiert, also situationsbezogen, erworben werden. Unsere Kompetenzen und auch Wissensbestände sind demnach verbunden mit den Situationen, in denen wir sie erworben haben. Das betrifft auch die Schwierigkeit, Wissen von einem Problemfeld (Domäne) auf andere zu übertragen. Die Übertragungsleistungen sind als gering einzuschätzen, wie die sogenannte „Domänenforschung“ zeigt.105 Dies erschwert gleichsam die Aktivierbarkeit und Übertragbarkeit erworbener Kompetenzen im Alltag. Somit ist es von besonderer Bedeutung, dass Bildungsangebote einen hohen Alltagsbezug für die Lernenden aufweisen, damit Kompetenzen im Alltag aktiviert werden können.
Ein Lehrkonzept, dass dem Umstand der Kontextuiertheit von Wissen und Kompetenzen Rechnung trägt, ist das "situierte Lernen". Beim situierten Lernen wird von Lebenssituationen der Lernenden oder von aus dem Alltag bekannten gesellschaftlichen Problemen ausgegangen. Die Lernenden verarbeiten denkend ihre Lebenswirklichkeit, lernen zu handeln, wenden ihre fachlichen Kenntnisse an und setzen ihre Fähigkeiten ein, können Sinn in ihrem Lernen finden und Motivation für das Weiterlernen entwickeln. Situierte Lernsituationen sind offener, sie werden durch Wochenplan- und Freiarbeit, Planspiele, projektorientierte Bildungsmaßnahmen bzw. Unterricht u.a. strukturiert.106 Beim situierten Lernen hat der Lehrende eine andere Rolle, als beispielsweise der Lehrer im traditionellen Unterricht. Der Lernende steht im Mittelpunkt und der Lehrer hat die Aufgabe, im Werkzeuge zum Lernen zu geben. Der Lehrende soll ein Experte im Fachbereich sein und im Dialog mit dem Schüler, als Coach, an einer komplexen Aufgabenstellung arbeiten. Soziale Interaktion ist von grundlegender Bedeutung in diesem Prozess. Soziale Kontakte dienen als Möglichkeit, Bedeutung des Lerngegenstands auszuhandeln. Kooperatives Lernen, Lerngruppen uns das Lernen mit Experten sind von Bedeutung.107 BNE ist aufgrund der angewandten Methoden beispielgeben für die Konkretisierung des Konzeptes des Situierten Lernens.108
Prinzip 5: Gefühle
Werden Kompetenzen verstanden als das Zusammenspiel kognitiver, emotionaler und motivationaler Selbstorganisationsdispositionen, dann sind damit auch für den Kompetenzerwerb weit reichende Konsequenzen verbunden. Das Bewerten von Fertigkeiten und von Wissen, sowie der Situationen, in denen dieses eingesetzt wird, und damit die Aneignung und Interiorisation von Werten, rücken in den Vordergrund. Kompetenzerwerb kann als Wertlernen verstanden werden und setzt damit Interiorisationsprozesse voraus: Produktion und Reproduktion, Rezeption und Kommunikation von Werten stehen im Mittelpunkt. Die Interiorisation von Werten bedarf der Herbeiführung einer (emotionalen) Herausforderung, die durch gewohnte Handlungsroutinen und mit Hilfe bisheriger Wissensbestände nicht aufzulösen ist. Die erfolgreiche Bewältigung solcher konfliktbeladener Entscheidungssituationen wird als Motor von Wertentstehungen und Wertinteriorisation angesehen. Für die erfolgreiche Vermittlung von Kompetenzen werden damit verstärkt Methoden notwendig, die eine emotionale Ebene mit einbeziehen, bewährte Handlungsmuster durchbrechen und zu einer neuer Bewertung von Handlungsmöglichkeiten führen.109
Zentrale Bedeutung von Emotionen und Motivationen für Handlungskompetenz
Die Definition von Kompetenzen bedeutet, nicht nur auf den Erwerb von Wissen abzustellen, sondern beim Erwerb Emotionen, Handlungsmotive und -absichten sowie den Willen der Lernenden zu berücksichtigen. Die Bedeutung von Emotionen und von Handlungsmotiven für das Lernen ist unbestritten, 110 findet bisher aber in Bildungsangeboten kaum eine angemessene Berücksichtigung.111
Wie eignen wir uns neue Werte an?112
Da sich Werte nicht einfach vermitteln oder erlernen lassen, sondern aktiv angeeignet und verankert werden müssen, ist damit auch ein anderes Lernen verbunden. Dem Lernen muss es zunächst ermöglicht werden, sein eigenes Wertesystem zu erkennen, zu analysieren und auf Realitätsangemessenheit zu überprüfen. Neue Werte werden in einem Prozess stufenweiser Interiorisation in das bestehende Wertesystem integriert. Für das Verständnis dieser Prozesse der Wertaneignung lässt sich auf eine Reihe pädagogisch-psychologischer Ansätze zurückgreifen, die diese Prozesse beschreiben. Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen emotions- und motivationspsychologischen Ansätze wurde ein vereinfachtes System des Interiorisationsprozesses entwickelt:113 Ausgangspunkt sind hierbei vorhandene gesellschaftliche Werte, die das Individuum kennt, aber noch nicht verinnerlicht hat und die dementsprechend nicht unmittelbar wirksam sind. Das Individuum steht im Alltag fortwährend vor individuellen und sozialen Entscheidungssituationen, die häufig nicht kognitiv, also unter Zuhilfenahme bereits vorhandenen Wissens oder Fertigkeiten, gelöst werden können. Ergeben sich neue, unbekannte Entscheidungssituationen, durch die eine solche Lösung nicht möglich erscheint, entsteht ein „emotionaler Spannungszustand“, der die Voraussetzung jeder Werteinteriorisation darstellt. Durch die Notwendigkeit, Entscheidungen angesichts von Unsicherheiten treffen zu müssen, werden Situationen, Handlungsweisen und vorhandene Wissensbestände reflektiert und bewertet. Werden die daraus resultierenden Handlungen individuell und in der sozialen Kommunikation als erfolgreich angesehen, kommt es zu einer Verankerung der handlungsleitenden Wertung (Werteinteriorisation). Durch die Kommunikation der so entstehenden Werte im sozialen Umfeld (vgl. Prinzip 3: Gemeinschaft) entsteht ein diskursives Normen- und Wertesystem, das, wenn es sich bewährt, immer wieder neu reproduziert wird.
Prinzip 6: Vielfalt an Perspektiven
Verschiedene Bildungsansätze, beispielsweise Umweltbildung und entwicklungspolitische Bildung, haben sich in der Vergangenheit bereits mit Teilaspekten verschiedener Fragen nachhaltiger Entwicklung beschäftigt. Das Konzept der BNE stellt diese bisher weitgehend getrennt diskutierten Perspektiven unter eine neue, ganzheitliche Perspektive.114 Der Lerngegenstand wird von mehreren Perspektiven aus beleuchtet und die verschiedenen Perspektiven werden zueinander in Verbindung gesetzt. Es geht nicht um die Vermittlung von isoliertem Faktenwissen, sondern um die Förderung vernetzten Denkens. Erst diese vernetzten Wissensbestände erlauben, dass Menschen zu begründeten Positionen im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung gelangen. Ausgangspunkt der Vernetzung sind Handlungen, Entscheidungen oder Visionen von Menschen. Ausgehend davon werden Haupt- und Nebenfolgen, beabsichtigte und nicht beabsichtigte Folgen in Betracht gezogen. Diese Folgenbetrachtung geschieht mithilfe der Bereiche Gegenwart und Zukunft, ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Dimension, konkurrierenden und übereinstimmenden Interessen von Akteuren, Vernetzung von „lokal und global“.115
Dieses Prinzip trägt auch der Erfahrung Rechnung, dass wissenschaftliches Wissen nicht ausreicht, um alltags- und zugleich zukunftstaugliche Klärungen und Lösungen herbeizuführen. Alltagswissen, Expertenwissen, traditionelles Wissen, Kinderwissen und das Wissen verschiedener Kulturen können durch Kooperation und partizipative Arbeitsweisen in Bildungsprozesse einbezogen werden.116
Die Bedeutung der Zusammenarbeit mit externen Partnern im Rahmen der BNE
Eine zentrale Forderungen der BNE ist die stärkere Öffnung von Bildungseinrichtungen für die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren der Gesellschaft. Neben Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen bieten sich besonders zivilgesellschaftliche Organisationen als Partner an.117
Die Komplexität nachhaltiger Entwicklung erfordert eine Thematisierung in möglichst vielen Lernanlässen und in fachübergreifenden bzw. fächerverbindenden Organisationsformen. Besonders zur Umsetzung der zentralen Prinzipien der Perspektivenvielfalt, der Handlungs- und der Alltagsorientierung bieten sich Kooperationen zwischen Lehreinrichtungen (Schulen, Berufsschulen, Kitas, ...) und zivilgesellschaftlichen Organisationen an. Diese können mit ihren Workshop-Angeboten und der oftmals jahrelangen BNE-Erfahrung einen niedrigschwelligen Einstieg und Unterstützung bieten. Auf diesem Weg kann zum einen das Themenspektrum erweitert werden, zum anderen können auch Kompetenzen gefördert werden, für die es vorrangig im "außerschulischen" Umfeld Lernorte und Lernanlässe gibt. Zudem zeichnen sich zivilgesellschaftliche BNE-Anbieterinnnen häufig u.a. durch eine hohe Fachexpertise, Motivation, Methodenkompetenz sowie ausgesprochene Fähigkeit zur Zielgruppenorientierung aus.118 Vereine und Initiativen sind daher wichtige Kooperationspartner im Rahmen der BNE.119
In der Zusammenarbeit mit externen Partnern eröffnen sich Möglichkeiten, Lernende an neue Themen und Inhalte heranzuführen, ihnen andersartige Bildungserfahrungen zu eröffnen und sie zugleich in lebensweltnahe Ernstsituationen einzubinden.120
Prinzip 7: Zusammenhänge im Fokus
Zur Lösung aktueller gesellschaftlicher Probleme ist eine „Spezialisierung auf den Zusammenhang“ nötig oder die Fähigkeit zum „systemischen Denken“. Die absolute Dominanz der Fachdisziplinen (Schulfächer, Forschungsfelder) verbaut die Perspektive auf die Zusammenhänge. BNE sollte sich auf Zusammenhänge spezialisieren und folgende Strukturmomente berücksichtigen:121
- Problemorientierung und Handlungsorientierung - Einsichten in Zusammenhänge: Es wird von gesellschaftlich relevanten Sach- und Sozialproblemen ausgegangen und sich bemüht, Handlungsfelder aufzusuchen, die Lernende durch Einsichten in Zusammenhänge kooperativ und eigenverantwortlich handeln lassen.
- Verantwortlichkeit - Zusammenhang von Entwicklungen: Auf die Ambivalenz und die Zusammenhänge wissenschaftlich-technischen Fortschritts auf der einen Seite und Verantwortlichkeit für Lebensgrundlagen, Lebensbedingungen für Menschen in ärmeren Ländern des globalen Südens und künftige Generationen wird immer wieder aufmerksam gemacht.
- Lebensweltorientierung und Mitbestimmung - Zusammenhang mit dem eigenen Alltag: Die Inhalte werden der Lebenswelt der Lernenden entnommen und nicht primär den fachlichen Curricula. Lernende sind an der Auswahl aktiv beteiligt.
- Vernetzung - als Grundprinzip der Realität: Es wird versucht, die Realität als vernetztes System erkennbar zu machen und Inhalte einzelner Fachdisziplinen bzw. (Schul-)Fächer in einem größeren Rahmen zu sehen. Orientierung an Problemen ist Ausgangspunkt.
- Perspektivität - als Brille für Zusammenhänge: Die Wirklichkeit kann niemals nur eindeutig und objektiv, unabhängig von subjektiver Konstruktion erfasst werden. Deshalb ist das Hineinversetzen in andere Sichtweisen für die Erfahrung einer anderen Rationalität wichtig.
- Gespräch und Kooperation mit gesellschaftlichen Akteuren - Zusammenhänge außerhalb formaler Bildungswelten nutzen:. Es ist eine Illusion zu glauben, dass Expertinnen formaler Bildungsinstitutionen (z.B. Lehrerinnen), allein Lernenden kompetent in gesellschaftliche Probleme einführen zu können. Hier ist immer wieder das Gespräch mit Expertinnen außerhalb formaler Bildungseinrichtungen wie Schule oder Hochschule zu suchen. Gerade in solchen Gesprächen können unterschiedliche Perspektiven etc. deutlich werden.122
Prinzip 8: Orientierung an Visionen
Die Frage, wie wir uns die Zukunft der Welt und der Gesellschaft wünschen, ist die Kernfrage nachhaltiger Entwicklung. Nachhaltigkeit ist somit ein optimistisches Konzept – es geht um die Entwicklung einer Vision für die gesellschaftliche Zukunft, in der gegenwärtig und zukünftig lebenden Menschen ein gutes Leben ermöglicht werden soll. Dieser optimistische Zugang muss auch die Bildungsangebote zu BNE prägen – dieser orientiert sich deshalb am Entwurf einer erwünschten Zukunft, an einer Vision. Auf diese Weise wird Lernenden ein positiver, optimistischer Zugang zu gesellschaftlichen Entwicklungen ermöglicht; im Zentrum stehen also weder gesellschaftliche Probleme noch Katastrophenszenarios. Dies bedeutet jedoch nicht, dass gesellschaftliche Probleme nicht angesprochen werden sollen. In der Auseinandersetzung mit den Visionen werden gesellschaftliche Probleme, aber auch das Potenzial der Gegenwart besprochen. Die Entwicklung von Visionen wird jedoch oftmals durch vertraute Denkmuster und stillschweigende Annahmen behindert. Menschen besitzen Vorstellungen darüber, wie die Welt funktioniert; sie interpretieren Neues im Lichte ihrer subjektiven Vorstellungen. Das führt dazu, dass Ungewohntes, das mit den eigenen Vorstellungen nicht im Einklang steht, als „unsinnig“ oder „unmöglich“ abgestempelt wird. Oft werden damit originelle Ideen und Vorschläge abgetan und sinnvolle Lösungen verhindert. Damit Ideen zur erwünschten Zukunft jedoch nicht an „falschen“ Vorannahmen scheitern oder durch unsere gewohnten Denkmuster eingeschränkt werden, ist es oftmals hilfreich, Methoden einzusetzen, die innovative kreative Ideen und Lösungen fördern (z. B. Kreativitätstechniken).123
Praxisbeispiel: Von der Katastrophen- zur Visionsorientierung
Dass Visionsorientierung keine leichte Aufgabe ist, zeigt das Beispiel der Diskussion um nachhaltigen Konsum, die nach wie vor fast ausschließlich von ökologischen Negativ-Szenarien sowie sozialen Krisenthemen der Ausbeutung dominiert wird. Im Sinne einer gestaltenden Modernisierungsperspektive hingegen ist zu fragen, wie neue und proaktive Wege zur Förderung eines nachhaltigen Konsums aussehen können. Es wäre danach zu fragen, wie sich menschliche Bedürfnisse (z.B. nach Identität und sozialer Zugehörigkeit) nicht primär über Konsumgüter (z.B. jährlich ein neues Handy), sondern immateriell (z.B. durch gemeinsame Projekte und Aktivitäten) befriedigen ließen.124 Entsprechend ist auch die Visionsorientierung ein zentrales didaktisches Prinzip, das bei der Gestaltung von Lernangeboten der BNE zu berücksichtigen ist.125
Ableitung von Methoden
Aus den genannten Prinzipien und Empfehlungen für BNE-Lernarrangements lassen sich innovative Methoden ableiten oder auch bekannte Methoden weiterentwickeln. Es gibt eine große Vielzahl möglicher Methodensets, je nachdem, welche Teilkompetenzen erworben werden sollen. Konkrete Beispiele sind Zukunftswerkstatt, Planspiele, künstlerisches Gestalten, Open Space, aktive Projektarbeit, Szenario-Technik, Aufbau von Kooperationen und vieles mehr.
Es gibt eine Vielzahl von Methodensammlungen, auch online. Ein Beispiel für den Schulbereich mit Zuordnung zu den Kompetenzen findet sich hier.
Die genannten Prinzipien und Methodenbeispiele sind wichtige Grundpfeiler guter BNE. Zum Umfeld des Lernprozesses kommen jedoch weitere Faktoren hinzu, die den Kompetenzerwerb entscheidend begünstigen können. Zu nennen ist inbesondere der sogenannte "whole institution approach" der besagt, dass beispielsweise eine Schule nicht nur Nachhaltigkeit lehren, sondern auch vorleben sollte. Die nachhaltige Umgestaltung des Schulalltags (Mensa, Energieversorgung, Beschaffung, ...) unter Mitwirkung der Lernenden hat vielfache kompetenzfördernde Wirkungen.126
Themen
Themen
Zum Erwerb der BNE-Kompetenzen bieten sich eine große Vielzahl von Themenfeldern an, die nach einer begründeten Orientierung verlangt. Das bedeutsamste Kriterium für die Themenauswahl stellt das Interesse der Lernenden dar. Die Lernmotivation steigt insbesondere dort und dann, wenn der Kompetenzzuwachs auch persönlich als bedeutsam eingestuft wird.127
In der BNE sollten die Interessen und Einstellungen der Lerndenen ins Zentrum gerückt werden (Prämisse der Anschlussfähigkeit). Nach Befunden der Lehr-Lernforschung ist zu erwarten, dass sich Lernmotivtionen spezifisch aus der Interessenslage von Lerndenden ergeben.128
Da sich Kompetenzen in variablen Anwendungssituationen unter Beweis stellen (Performanz), ist es naheliegend, dass sie in Handlungssituationen erworben werden, die für die Lernenden bedeutungsvoll sind. Kompetenzen (zumal einzelne Teilkompetenzen und Kompetenzstufen) sind ein Konstrukt, das nur in seiner Anwendung beobachtbar ist. Die Bedeutung des Inhalts (der konkreten Herausforderung) für die Entwicklung der Kompetenz kann kaum überschätzt werden. In vielen Fällen kann es auch die Faszination des Inhalts für Lerndende sein, die eine Suche nach den damit zu verbindenden Kompetenzen rechtfertigt. Im Prozess des Kompetenzerwerbs steht für die Lernenden die inhaltliche Herausforderung des Themas und der Aufgabe motivierend im Vordergrund. Der Kompetenzerwerb im Hintergrund wird von den Lernenden oft kaum wahrgenommen ("das möchte ich können") und erst durch lebensweltlich bedeutsame Herausforderungen erstrebenswert. Die Stärke dieses Ansatzes liegt darin, dass Inhalte nicht abgearbeitet, sondern mit dem individuellen Bedarf an Kompetenzentwicklung verbunden werden und Lernmotivation aus dem Thema bzw. der Aufgabe und dem persönlichen Kompetenzgewinn entsteht. Das setzt voraus, dass Lernende ihre Interessen einbringen können, eigene Kompetenzfortschritte erkennen und Selbstwirksamkeit erfahren.129
Praxis-Beispiel: Wenn sich beispielsweise männliche Jugendliche sehr für das Auto interessieren, dann scheint es - auch unter Zukunftsgesichtspunkten - mehr Spaß machen zu können, sich mit futuristischen Konzepten wie dem Hypercar und em Cyber Train, also mit hypermodernen Antriebstechniken, zu befassen, als alle immer wieder aufs Fahrrad setzen zu wollen. Oder man könnte das Interesse von Jugendlichen an der Beschäftigung mit fernen Ländern nutzen, um Themen des Fairen Handelns aufzugreifen, anstatt nur Betroffenheit für Armut in Ländern des Südens erzeugen zu wollen.130
Die Vielfalt an Themen ordnen
Darüber hinaus bieten beispielsweise die in der Agenda 21 aufgeführten Themenfelder Konsum, Gesundheit, Bauen und Wohnen und Landwirtschaft alltagsnahe Anknüpfungspunkte und können mit den großen Herausforderungen des globalen Wandels verbunden werden (Klimawandel, Biodiversität, Bekämpfung von Armut etc.).131
BNE schreibt keine verbindlichen Inhalte vor, da unterschiedliche Lernanlässe geeignet erscheinen, das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung zu reflektieren und zu lernen, gesellschaftliche Entwicklung mitzugestalten. Berücksichtigt wird damit auch die Wandelbarkeit heute relevanter Inhalte in der Zukunft sowie in anderen kulturellen Kontexten. Für die Auswahl geeigneter Kriterien zur Selektion der Inhalte bietet sich eine Orientierung an der Vorgehensweise der Nachhaltigkeitsforschung an. Der WGBU schlägt in diesem Zusammenhang die Kriterien
- globale Relevanz,
- Dringlichkeit,
- Wissensdefizit,
- Verantwortung,
- Betroffenheit und
- Forschungs- und Lösungskompetenz
vor, um zu entscheiden, welche Probleme im Kontext nicht-nachhaltiger Entwicklungen primär behandelt werden sollten.132 Daran angelehnt legt der BNE-Forscher Gerhard de Haan folgende Kriterien an die Auswahl von Inhalten für Bildung für nachhaltige Entwicklung an:133
- Lokales und/oder globales Thema für nachhaltige Entwicklungsprozesse: Um Resonanz bei den Zielgruppen erzeugen zu können, muss es darum gehen, die Wechselwirkungen zwischen lokalem Handeln und globalem Wandel erfahrbar zu machen.
- Langfristige Bedeutung: Auch wenn sich Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht der Reaktion auf aktuelle Krisen, Katastrophen und Informationen über positive Entwicklungen verschließen kann, so liegt der Fokus doch in der Möglichkeit der Gestaltung von Zukunft und damit auf der langfristigen Bedeutung von Inhalten.
- Differenziertheit des Wissens: Für die angemessene Behandlung eines Themas ist es wichtig, dass ein differenziertes Wissen existiert. Aus das Nicht-Wissen, insbesondere bezüglich der Tragfähigkeit von Lösungsvorschlägen für Probleme sollte kenntlich gemacht werden.
- Handlungspotenzial: Nachhaltigkeit ist ein Entwicklungskonzept. Anschlussfähig werden nur Inhalte, in denen aktives Handlungspotenzial steckt.
BNE und Globales Lernen
BNE und Globales Lernen
Das Globale Lernen...
-
...ist ein Teil von BNE, der sich auf Handlungskompetenzen bezieht, die im Zusammenhang des Nord-Süd-Verhältnisses in einer sich globalisierenden Welt notwendig sind.134
-
...ist ein offener Begriff, der nicht fest definiert ist. Er wird jedoch als „die pädagogische Antwort auf die Erfordernisse einer nachhaltigen Entwicklung der Weltgesellschaft, als die notwendige Transformation pädagogischen Denkens und Handelns im Kontext einer sich globalisierenden Gesellschaft“ verstanden.135
-
...ist in den 90er Jahren entstanden und hat sich aus der entwicklungspolitischen und interkulturellen Bildung, der Friedenspädagogik und der Menschenrechtsbildung entwickelt.136
-
... hat sich verstärkt der Auseinandersetzung mit ökologischen Problemen geöffnet als es in den 90ger Jahren in das übergreifende Konzept der BNE eingeflossen ist. Globales Lernen beschäftigt sich traditionell eher mit sozialen, ökonomischen und menschenrechtlichen Entwicklungsaspekten.137
Globales Lernen ist in die vier Zieldimensionen nachhaltiger Entwicklung unterteilt:138.
- soziale Gerechtigkeit
- wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
- demokratische Politikgestaltung
- ökologische Verträglichkeit.
Diese unterteilen sich wiederum in je 3 Handlungsebenen:139
- Mikro-Ebene (mit Individuum, Familie, Gemeinde),
- Meso-Ebene (mit Region und Staat) und
- Makro-Ebene (mit Transnationalen Einheiten und Welt).
Das Orientierung gebende Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ist das zentrale Konzept einer BNE und damit auch die wichtigste der fünf Leitideen des Globalen Lernens:140
- Orientierung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung
- Analyse von Entwicklungsprozessen auf unterschiedlichen Handlungsebenen
- Umgang mit Vielfalt
- Fähigkeit zum Perspektivwechsel
- Kontext- bzw. Lebensweltorientierung.
Globales Lernen - Kompetenzen
Globales Lernen - Kompetenzen
Das Globale Lernen hat ein eigenes Kompetenzmodell, das in vielfacher Hinsicht dem der BNE-Gestaltungskompetenz gleich.141 Der Kompetenzbegriff sowie das damit verbundene Ziel, Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen selbstorganisiert vor dem Hintergrund des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung einsetzen zu können, entspricht den Grundelementen des Konzepts der BNE-Gestaltungskompetenz.142 Das Kompetenzkonzept knüpft ebenso an den Kompetenzbegriff von Weinert und die von der OECD formulierten Schlüsselkompetenzen an und ist darüber hinaus anschlussfähig an den europäischen Referenzrahmen "Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen".143
Die 11 Kompetenzen des Globalen Lernens sind:144
Informationsbeschaffung und -verarbeitung: ...Informationen zu Fragen der Globalisierung und Entwicklung beschaffen und themenbezogen verarbeiten können. (Erkennen)
Erkennen von Vielfalt: ... die soziokulturelle und natürliche Vielfalt in der Einen Welt erkennen. (Erkennen)
Analyse des globalen Wandels: ... Globalisierungs- und Entwicklungsprozesse mithilfe des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung
fachlich analysieren. (Erkennen)
Unterscheidung von Handlungsebenen: ... Handlungsebenen vom Individuum bis zur Weltebene in ihrer jeweiligen Funktion für Entwicklungsprozesse erkennen. (Erkennen)
Perspektivenwechsel und Empathie: ... sich eigene und fremde Wertorientierungen in ihrer Bedeutung für die Lebensgestaltung bewusst machen, würdigen und reflektieren. (Bewerten)
Kritische Reflexion und Stellungnahme:... durch kritische Reflexion zu Globalisierungs- und Entwicklungsfragen Stellung beziehen und sich dabei an der internationalen Konsensbildung, am Leitbild nachhaltiger Entwicklung und an den Menschenrechten orientieren. (Bewerten)
Beurteilen von Entwicklungsmaßnahmen:... Ansätze zur Beurteilung von Entwicklungsmaßnahmen (bei uns und in anderen Teilen der Welt) unter Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen und Rahmenbedingungen erarbeiten und zu eigenständigen Bewertungen kommen. (Bewerten)
Solidarität und Mitverantwortung:... Bereiche persönlicher Mitverantwortung für Mensch und Umwelt erkennen und als Herausforderung annehmen. (Handeln)
Verständigung und Konfliktlösung: ... zur Überwindung soziokultureller und interessenbestimmter Barrieren in Kommunikation und Zusammenarbeit sowie zu Konfliktlösungen beitragen. (Handeln)
Handlungsfähigkeit im globalen Wandel: ... die gesellschaftliche Handlungsfähigkeit im globalen Wandel vor allem im persönlichen und beruflichen Bereich durch Offenheit und Innovationsbereitschaft sowie durch eine angemessene Reduktion von Komplexität sichern und die Ungewissheit offener Situationen ertragen. (Handeln)
Partizipation und Mitgestaltung: Die Lernenden können und sind aufgrund ihrer mündigen Entscheidung bereit, Ziele der nachhaltigen Entwicklung im privaten, schulischen und beruflichen Bereich zu verfolgen
und sich an ihrer Umsetzung auf gesellschaftlicher und politischer Ebene zu beteiligen. (Handeln)
Die Messung von Kompetenzen des Globalen Lernens
Die Messbarkeit von Kompetenzen steht beim Globalen Lernen nicht im Vordergrund. Dies liegt daran, dass die von Weinert in seiner Kompetenzdefinition für wichtig erachteten Einstellungen und Werthaltungen sind beim Globalen Lernen von zentraler Bedeutung.145 Für diese liegen bis heute in der BNE keine wissenschaftlich fundierten und dennoch praxistauglichen Messverfahren vor. Zudem sollten Einstellungen und Werthaltungen keiner Bewertung durch Lehrende unterliegen (siehe Exkurs Überwältigungsverbot).
Die hier aufgeführten Kompetenzen stammen aus dem Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung. Diese im Orientierungsrahmen (OR) auf Seite 95 aufgeführten Kompetenzen sind für den Schulbereich entwickelt und unmittelbar anschlussfähig für den kompetenzorientierten Fachunterricht. Der Orientierungsrahmen bezieht sich speziell auf die Bedürfnisse der Grundschule (Ende Klasse 4) und den Mittleren Abschluss der Sekundarstufe I. Das Kompetenzmodell bedarf der Ausdifferenzierung für weitere Jahrgangsstufen, vor allem einer Fortentwicklung in die Sekundarstufe II. 146
Maßgeblich für die Entwicklung unterschiedlicher Kompetenzkataloge von BNE und Globalem Lernen war nicht nur der jeweilige Entwicklungskontext mit eigener Zielsetzung, sondern auch die unterschiedliche Konkretisierung für die Anschlussfähigkeit an den vorherrschenden Fachunterricht der Schulen. Während die zwölf BNE-Teilkompetenzen von allgemeiner und grundlegender Bedeutung für die (schulische) Bildung sind und weitgehend den Charakter überfachlicher Kompetenzen haben, zeichnen sich die elf Kernkompetenzen des Orientierungsrahmens für den Lernbereich Globale Entwicklung durch eine stärkere Fokussierung auf nachhaltige Entwicklung und Globalisierung aus.147
Globales Lernen - Prinzipien
Globales Lernen - Prinzipien
Es kann eigentlich keine Rede sein von spezifischen Lernarrangements des Globalen Lernens, wohl aber gelten die Prämissen für handlungsorientierten Unterricht/Bildung als grundlegendes Lernkonzept:148
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In ganzheitlichen Lernprozessen ist die Verbindung von Wissen und Handeln im Sinne einer auch wertorientierten Entwicklung von Strukturwissen in komplexen Lernsituationen bedeutsam.
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Handlungsorientiertes Lernen ist Lernen von theorieorientiertem Wissen (Strukturwissen), Lernen durch und im Handeln auf der Basis eines handlungstheoretischen Verständnisses von Lernen sowie Reflexion des Handelns in individuellen und sozialen Kontexten.
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Methodisch zielt handlungsorientiertes Lernen auf selbstständige Wissensentwicklung sowie Problemlöse- und Gestaltungsfähigkeit unter Einschluss der Entwicklung der lebenslangen Lernbereitschaft.
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Handlungsorientiertes Lernen ist nicht auf den Lernort Schule begrenzt, sondern vielmehr auf die Öffnung der Schule und Lernen in den Erfahrungszusammenhängen von Wirtschaft, Arbeit, Gesellschaft und Politik ausgerichtet.
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Handlungsorientierter Unterricht ist übergreifenden Zielen von nachhaltigem Handeln in teilweise konfliktären ökologischen, sozialen, ökonomischen und politischen Zusammenhängen auch wertorientiert verpflichtet. Das bedeutet, es ist offen für die Gestaltung zukunftsfähiger Entwicklungen.
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Die Lehr- und Lernprozesse, bei denen das lernende Subjekt im Mittelpunkt steht, werden durch Vermittlung von Planungs-, Arbeits- und Lerntechniken und teiloffen gestaltetes Unterrichtsmaterial zunehmend von den Lernenden selbst gesteuert.
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Lehrende sind eher Lernhelfer als Wissensvermittler, die anleiten, selbstständig Wissen anzueignen und Probleme wertorientiert in sozialen Kontexten zu lösen. Sie gestalten selbstorganisierte Lehr-/Lernprozesse.
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